040: Wie behindert ist behindert? - Raúl Krauthausen über Barrieren in unseren Köpfen

Shownotes

„Auch nichtbehinderte Menschen haben ein Recht darauf, mit behinderten Menschen zusammenzuleben."

„Ich sitze nicht im Rollstuhl, weil ich gefesselt bin – sondern weil ich frei sein will.“ Wenn Raúl Krauthausen diesen Satz sagt, eröffnet sich plötzlich eine neue Welt. Eine Welt, in der nicht die Behinderung das Problem ist, sondern die Art, wie wir darüber denken und sprechen.

In dieser emotional tiefgehenden und dennoch humorvollen Folge von „HAUT COUTURE – ICH BIN ICH und das ist gut so“ spricht Raúl Krauthausen, Deutschlands bekanntester Inklusionsaktivist, Autor und Gründer der Sozialhelden, offen über seinen Alltag und seine Erfahrungen als Mensch mit Behinderung.

Dabei räumt er gründlich mit unseren tief verankerten, oft unbewussten Denkmustern auf – angefangen bei unserer Sprache: Warum sagen wir automatisch „an den Rollstuhl gefesselt“? Warum sprechen wir von „trotz der Behinderung“?

Raúl erklärt eindrücklich, wie diese Worte Barrieren schaffen und Menschen unnötig aufs Podest heben oder klein machen:

„Ich gehe nicht trotz meiner Behinderung einkaufen, sondern mit ihr. Das ist ein kleiner Unterschied, aber der verändert alles."

Raúl zeigt uns, dass Inklusion nicht bei Rampen oder Aufzügen beginnt, sondern in unserem Denken. Dabei erzählt er von konkreten Situationen aus seinem Leben, wie etwa einer Begegnung auf dem Spielplatz:

„Ich höre oft, wie Kinder zu ihren Eltern sagen: ‚Guck mal, ein Babymann!‘ Ich nehme es den Kindern nicht übel, sie sind neugierig. Problematisch finde ich die Reaktion der Eltern, wenn sie ihr Kind dafür bestrafen, Fragen zu stellen.“

Raúl macht deutlich, dass gerade die Reaktionen der Erwachsenen entscheidend dafür sind, wie Vorurteile entstehen und weitergetragen werden. Ein besonderer Moment in der Folge ist Raúls Anekdote über die Kraft der Authentizität. Er erzählt von seiner Studienzeit, wo er erstmals bewusst entschied, keine Assistenten mitzunehmen und sich selbst zu zeigen, wie er wirklich ist:

„Es war der erste Tag meines Studiums und ich wollte es dieses Mal allein und ohne Assistenz schaffen. Und dann stand vor der verschlossenen Tür von Hörsaal und habe mich überwunden, zum ersten Mal bewusst fremde Menschen um Hilfe bitten. Die Person, die mir half, hat wahrscheinlich nicht mal eine Erinnerung daran. Aber für mich hat sie eine ganze Welt geöffnet.“

Dieser Moment zeigt eindrücklich, wie sehr unser Leben davon abhängt, ob wir uns trauen, authentisch zu sein und den nächsten Schritt zu gehen. Raúl spricht außerdem darüber, wie Kreativität und Resilienz für Menschen mit Behinderungen alltägliche Werkzeuge sind, um Barrieren zu überwinden – Fähigkeiten, von denen wir alle lernen können:

„Menschen mit Behinderung müssen jeden Tag Lösungen finden. Das trainiert. Man entwickelt Strategien, Resilienzen und eine Stärke, die einen durchs Leben trägt.“

Ein weiterer emotionaler Höhepunkt ist seine Beschreibung davon, wie echte Begegnungen Vorurteile abbauen – nicht theoretische Aufklärung:

„Die wirksamste Art, Ängste und Vorurteile zu beseitigen, ist Begegnung. Kein Video, keine Broschüre ersetzt das Gefühl, einem Menschen wirklich gegenüberzustehen.“

Raúl fordert uns eindringlich auf, nicht aus Angst vor Fehlern zu schweigen, sondern mutig in echte Begegnungen zu gehen:

„Du schuldest niemandem deine Diagnose oder Erklärung. Sei mutig, begegne Menschen, aber respektiere Grenzen – auch deine eigenen.“>

Am Ende bleibt eine Botschaft, die in Erinnerung bleibt:

„Auch nichtbehinderte Menschen haben ein Recht darauf, mit behinderten Menschen zusammenzuleben.“ >

Dieser Satz stellt das Denken über Inklusion völlig auf den Kopf – und zeigt uns, dass es an uns allen liegt, eine Gesellschaft zu schaffen, die jede Person einschließt.

🎧 Warum diese Folge dein Denken verändern wird ✨ Du erfährst nicht nur, was Inklusion ist, sondern warum sie für alle eine Bereicherung ist. ✨ Du hörst inspirierende Beispiele aus dem Leben eines Inklusionsaktivisten, die Mut machen – egal ob mit oder ohne Behinderung. ✨ Du bekommst Handwerkszeug, um Alltag und Sprache inklusiver zu gestalten – und damit ein Stück Welt zu verändern.

Danke, dass du bis hierhin dabeibist! Wenn du jetzt das Gefühl hast: „Da kann ich was bewegen!“ – dann bitte dieses Gespräch weiterleiten. Lass uns gemeinsam das Netzwerk für Sichtbarkeit, Sprache und Selbstbestimmung stärken.

Wenn du mehr über Raúl, seine Projekte wie Wheelmap, seine Bücher oder die Sozialhelden erfahren willst, findest du unten alle Links. Deine NANÉE

🎧 Höre jetzt rein – und teile diese Folge mit Menschen, die einen Perspektivwechsel brauchen können. Denn diese Episode ist ein Leuchtfeuer für alle, die sich wiederfinden wollen. Diese Folge ist ein kraftvolles Plädoyer für Authentizität, Mut und echtes Miteinander. Sie ermutigt dazu, Barrieren nicht nur zu erkennen, sondern sie aktiv abzubauen – zuerst und vor allem in uns selbst.

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**Und denke immer daran: Du bist perfekt, wie du bist! Alles Liebe, Deine NANÉE **❤️


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Transkript anzeigen

NANÉE: Herzlich willkommen zu einer neuen Folge von "HAUT COUTURE - ICH BIN ICH und das ist gut so". Ich bin NANÉE und heute habe ich einen ganz besonderen Gast bei mir, Raúl Krauthausen. Raúl ist Inklusionsaktivist, Autor zweier Spiegel-Bestseller und einer der wichtigsten Stimmen für Barrierefreiheit in Deutschland. Seit über 20 Jahren kämpft er für eine Gesellschaft, in der jeder Mensch selbstverständlich dazugehört. Er ist Gründer der Sozialhelden, hat die Wheelmap entwickelt, eine weltweite Karte barrierefreier Orte und wurde für seine Arbeit unter anderem mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet. Aber was mich heute am allermeisten interessiert, ist ein Zitat von ihm, das mein Denken komplett auf den Kopf gestellt hat: "Auch nichtbehinderte Menschen haben ein Recht darauf, mit behinderten Menschen zusammenzuleben." Wir sprechen heute darüber, warum unsere Sprache Menschen ausgrenzt, ohne dass wir es merken. warum Inklusion kein Wellnessprogramm für Behinderte ist und wie wir alle von einer barrierefreien Welt profitieren. Herzlich Willkommen Raúl, so schön, dass du da bist.

Raul Krauthausen: Danke für die Einladung, hallo!

NANÉE: Raúl, wenn Menschen über dich sprechen, sagen sie oft, der ist an den Rollstuhl gefesselt. Wie fühlt sich das für dich an und was würdest du dir stattdessen wünschen?

Raul Krauthausen: Wenn man das in meiner Gegenwart tut dann spreche ich das sofort an und sage dann, ich bin jetzt nicht gefesselt. Ich sitze freiwillig da drin, weil ohne Rollstuhl wäre ich ja quasi gefesselt. Der Rollstuhl bedeutet mir Freiheit, Unabhängigkeit, Selbstbestimmung. Ich kenne niemanden, der auf einen Rollstuhl angewiesen ist oder die, die das als Fesslung oder Würde bezeichnet. oft mit anderen Dingen würden, Treppen, Stufen, fehlende Aufzüge, fehlende Rampen usw. Und wenn ich es nicht mitbekomme, also wenn Dritte über mich reden, andere über mich reden, mit Dritten, dann kriege das ja nicht mit. Und deswegen... Mich fasst das nicht so persönlich an, ehrlich gesagt. Dafür habe ich schon zu lange...

NANÉE: Ja, das stimmt.

Raul Krauthausen: auch in dem Bereich engagiert. Ich weiß, dass die meisten Menschen das nicht böse meinen. Und das ist halt so eine Umgangssprache, wie man das halt lange gesagt hat. Aber ich finde es eben auch wichtig zu reflektieren, was sagt man da eigentlich? Ist das wirklich das, man sagen will? Meint man das auch so, wie man das gesagt hat? Und die meisten Menschen, wenn ich die drauf anspreche, die verstehen das dann.

NANÉE: Mhm. Mhm.

Raul Krauthausen: haben sich oft gar nicht darüber Gedanken gemacht. Ich denke, man sollte sie erst dann in die Verantwortung nehmen, wenn sie es ein zweites Mal gebrauchen. Beim ersten Mal kann man ja noch lernen.

NANÉE: Das stimmt. Und damit kommen wir zum ganz, ganz wichtigen Punkt. Du hast gesagt, weil man Sachen halt immer so gemacht hat und immer so gewohnt ist, zu benutzen. Bei Leitmedien.de klärst du zum Beispiel auch über problematische Sprache auf. Welche Begriffe hörst du denn täglich, die Menschen mit Behinderungen verletzen, ohne dass es böse gemeint ist?

Raul Krauthausen: Ich finde es auffällig, wie oft Sätze gesagt werden, trotz der Behinderung macht jemand etwas. Dabei machen die meisten Menschen mit Behinderung etwas mit ihrer Behinderung. Auch da ist Sprache tatsächlich mächtig. Trotz der Behinderung einkaufen zu gehen, ist für mich keine Heldentat. Aber mit Behinderung einkaufen zu gehen, ist einfach das Normale. Und ich glaube, diesem kleinen Wort trotz oder mit machen wir auch den Unterschied, ob wir auf Augenhöhe sind oder ob wir Menschen mit Behinderung unnötigerweise aufs Podest heben und sie bewundern für alltägliche Tätigkeiten. Natürlich kann man sagen, trotz der Behinderung hat er oder sie ohne Arm und Beine den Mount Everest erklommen. Okay, sind aber die wenigsten, die das tun. Die meisten Dinge, die wir tun, egal ob behindert oder nicht, sind die Alltagsdinge.

NANÉE: Ja, ja,

Raul Krauthausen: Ich fahre nicht trotz Behinderung mit den öffentlichen Verkehrsmitteln, sondern eben mit der Behinderung. Und ich gehe auch nicht trotz Behinderung arbeiten, sondern mit ihr. Das war für mich auch ein Gamechanger, als ich das zum ersten Mal für mich gehört und wahrgenommen und verstanden habe. Ich ich habe selber auch viele Dinge anders gesehen. Früher nicht so viel reflektiert wie jetzt. Und einen anderen Satz, den ich sehr interessant finde, ist... wie nichtbehinderte Menschen große Probleme zu haben, scheinen das Wort Behinderung zu sagen. Die sagen dann immer Handicap, anders Begabte, herausgefordert, beeinträchtigt, was auch immer.

NANÉE: ⁓ da sprichst du ein ... Ich bekenne mich schuldig, lieber Raúl, weil ich hab, auch ich hab das gesagt und ich erinnere mich noch, da hatte ich die liebe Sabina von Fragments of Living. Sabrina, nicht Sabina, Sabrina Lorenz genau. Die ist ja auch Ableismusaktivistin. Und die hatte ich in meinem Podcast und hab mich darauf vorbereitet und so was und wollte ihr was Nettes sagen und hab gesagt, so ja, Menschen mit Handicaps.

Raul Krauthausen: Sabrina Lorenz, ja genau.

NANÉE: Und da ist sie, also das war abgegangen wie Schmidts Katze, sag ich mal so. Wir haben dann eine sehr lebhafte Diskussion gehabt, weil da fiel es mir das allererste Mal auf. Ich dachte, ich tu ihr was Gutes, indem ich das sage, weil für mich das Wort behindert negativ konnotiert ist. Und wir haben eine wunderbare Diskussion, also du kannst es gerne nachhören, das Interview mit Sabrina, Diskussion darum geführt, dass behindert eben nicht.

Raul Krauthausen: Mhm.

NANÉE: Es ist eine Eigenschaft, das ist sozusagen eine Sachinformation, sagt man das. Es ist ein Adjektiv, aber es ist weder positiv noch negativ konotiert. Es ist einfach eine Eigenschaft wie die Farbe Grün.

Raul Krauthausen: Ja, genau. Und man kann die Frage stellen, wo kommt denn diese negative, also die Angst vor dem Negativen her? Wo kommt das her? Und oft wird mir dann erzählt, na ja, auf dem Schulhof wird das Wort behindert als Schimpfwort gebraucht. Ist das behindert? Bist du behindert? Was soll man? Und wenn wir ehrlich sind, das haben wir doch über Schwule auch gesagt. Ja, bist du schwul? Das ist doch schwul. Und das hat ja nicht dazu geführt, dass schwule Männer das Wort schwul meinen.

NANÉE: Ja.

Raul Krauthausen: Sie haben das zurückerobert oder angeeignet oder einfach gesagt, das ist kein Schimpfwort. Wir nennen uns weiterhin schwul. So ähnlich ist es beim Thema Behindert auch. Behinderung ist kein Schimpfwort, sondern ist eine Tatsachenbeschreibung. Wie eine Haarfarbe oder so. Und es ... Wenn man das noch weiter denken würde, also zu sagen ... Ist jemand behindert oder wird jemand behindert, das auch noch verschiedene Perspektiven haben kann? Ist die Behinderung eine Eigenschaft, am Menschen hängt? Oder ist die Behinderung etwas, das auch durch die Umwelt erzeugt wird? Zum Beispiel durch fehlende Aufzüge oder so. Genau. Und das Zusammenspiel aus behindert sein und behindert werden ist die eigentliche Behinderung erst. das ist...

NANÉE: Mhm. Ja, definitiv. fehlende Barrierefreiheit, genau.

Raul Krauthausen: Wenn wir jetzt beide diesen Podcast aufnehmen, wir sind beide hörend, wir sitzen beide auf unseren Stühlen, jetzt liegt gerade gar keine Behinderung vor. Wenn wir jetzt gehörlos wären oder ich keinen Rollstuhl hätte oder das Studio nicht barrierefrei wäre.

NANÉE: Das stimmt, ja genau. Oder zum Beispiel, wenn du an Beatmung angeschlossen wärst, wärst du im Sprechen sehr eingeschränkt.

Raul Krauthausen: Wobei ich auch da denke, warum hören wir eigentlich so wenig Menschen, die auf Beatmung angewiesen sind in Podcasts? Die haben ja auch ein Anrecht auf Gehörtwerden. Und warum tun wir immer nur den hörenden Menschen den Gefallen, dass etwas angenehm klingt? Wen schließen wir denn aus? Und ich kann mich erinnern, kurz eine Anekdote. Wir betreiben ja auch einen Podcast für einen öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Und da gibt es...

NANÉE: Hm. Hm. Naja. system.

Raul Krauthausen: Am Anfang gab es eine Diskussion darüber, welche Stimmen wir zu Wort kommen lassen. Und wir haben gesagt, jede Stimme, jede Stimme, die wir interessant finden. wenn die Person schwer verständlich ist, hat trotzdem der Hörer das Recht, sie zu hören. Und wie man sie dann transportiert, ob man das zusammenfasst oder ob man das voiced, das kann man ja dann auch redaktionell entscheiden. Aber es darf nicht dazu führen, man, weil die Stimme komisch klingt,

NANÉE: Mmh.

Raul Krauthausen: diese Personen gar nicht erst zu hören ist. Weil auch nichtbehinderte Menschen ein Recht darauf haben, andere Perspektiven mitzubekommen und nicht immer nur die gleichen. Und noch mal kurz zum Thema Behindert als Wort. Wenn ich mit Jugendlichen, die auf Schulhöfen mehr Zeit verbringe, als ich über das Thema rede, und ich höre, wie ein Jugendlicher...

NANÉE: Mhm.

Raul Krauthausen: Zum anderen sagt, bist du behindert? Dann... Und das hab ich beim Radio gelernt. hab früher bei Radio Fritz gearbeitet, das ist ein Jugendsender. Und da haben wir gelernt, da hab ich verstanden, dass Jugendsprache auch was Wichtiges ist. Es ist wichtig, dass Jugendliche eine eigene Sprache haben, die sich abgrenzt von denen, der Boomer, der Erwachsenen, der Alten. Und da ist blöderweise das Wort behindert irgendwie ein Schimpfwort geworden.

NANÉE: Mhm. Mhm. Mhm. Mh. Mhm.

Raul Krauthausen: Und ich bin aber nicht in der Position, Jugendlichen zu sagen, das darfst du nicht sagen. Sondern ich kann sie lediglich darüber aufklären, dass es Situationen geben kann, wo sie das Wort gebrauchen, mit dem sie mehr verletzen, als sie eigentlich vorhatten. Also wenn du deine Kumpels auf dem Schulhof dissen willst, dann mach das, so ist mir scheißegal. Aber wenn du dabei mehr Schaden anrichtest, als du eigentlich vorhattest...

NANÉE: Mhm, ja ja, genau.

Raul Krauthausen: Dann übernimmst du dafür die Verantwortung. Ich werde es dir nicht verbieten. Aber jetzt hast du dieses magische Wissen. Jetzt kannst du damit verantwortungsvoll umgehen. Ich werde das auch nie wieder sagen. Wenn du mich fragst, ob ich behindert bin, dann werde ich ja sagen. Aber dann bist du halt auch entwaffnet.

NANÉE: Das finde ich, da sprichst du was ganz, ganz Wichtiges an. Wie häufig sprechen wir einfach gedankenlos einfach Sachen aus oder machen uns überhaupt keine Gedanken, was wir sagen. Keine Ahnung. Ich meine, ich bin auch durch Mobbing gegangen während meiner Schulzeit und wurde ausgegrenzt und durfte mir sehr verletzende Sachen anhören. Und ich weiß es nicht, ob man sagen kann, ja. diese Reibereien und keine Ahnung, das Mobbing gehört dazu irgendwie oder es ist vielleicht ist es sogar jetzt noch schlimmer. habe keine Ahnung. Ich würde es mir wünschen, dass es eben nicht so ist, sondern dass auch in der Schule ein wertschätzender Umgang miteinander gelehrt werden würde und was Wort, also ich würde es mir wünschen wirklich, dass in der Schule bereits gelehrt werden würde, was Worte bei dem anderen auslösen, wirklich an Emotionen. Und da spreche ich zum Beispiel auch für über so Worte wie Makel und ich habe ja eine Pigmentierung. Ich sage jetzt Pigmentierung, ich sage nicht mehr Gendefekt oder Pigmentstörung. Das sind alles Worte, die, also ich fühle mich nicht gestört und ich fühle mich nicht defekt. Und da finde ich, dass Worte einfach so wahnsinnig kraftvoll sind.

Raul Krauthausen: Ich verstehe, was du meinst. Ich glaube, ist eine sehr individuelle Geschichte. Es gibt ja Menschen, die eine Erkrankung oder Behinderung haben, die Schmerzen bereitet. Und da jetzt zu sagen, das ist aber auch was Positives. Ich möchte nicht, dass Menschen gezwungen werden, alles immer positiv zu sehen. Sondern es gibt auch berechtigtes Leid.

NANÉE: Mhm. Ja, ja. Mmh. Mmh.

Raul Krauthausen: Das Leid sollte aber von der Person selber beschrieben werden und nicht von außen angedichtet oder interpretiert. Und... Ich habe auch positive Beispiele von Schulhöfen. Schulhof als Metapher der zwei junge Menschen, mit denen man spricht. Und ich kann mich erinnern, ich habe mal ein Pronomen falsch benutzt, als ich über ein anderes Kind sprach. Und dann hat mich ein Kind korrigiert und hat gesagt, Raúl...

NANÉE: Mmh. Das stimmt. Ja.

Raul Krauthausen: Kim hat kein Pronomen. Und dann denke ich so, ja krass, dass mir ein siebenjähriges Kind... Erstmal, dass ein siebenjähriges Kind weiß, was ein Pronomen ist. Hätte ich mit sieben nicht gewusst. Aber dass ein siebenjähriges Kind einfach damit aufwächst, dass es eben auch etwas zwischen der und die gibt. Das finde ich auch toll. Und wenn ich Kinder treffe, die mich schon eine Weile kennen...

NANÉE: Ja, das stimmt. Aha. Ja, das stimmt, das macht Hoffnung. Mmh.

Raul Krauthausen: Die haben dann auch keine Fragen mehr zum Thema Behinderung. Oder die wollen dann mal mitfahren oder fragen, ob ich auch ein Eis essen möchte und so. Und das sind dann aber keine defizitorientierten Fragen, sondern eher auf der Suche nach Abenteuer, nach Freude, nach Spaß. Und das geht natürlich auch mit Behinderung.

NANÉE: Hmm. Hm. Naja. Und da glaube ich auch, dass Kinder generell wahnsinnig offen sind. Das erlebe ich immer, wenn, ich bin ja auch im Vorstand vom Nävus Netzwerk Deutschland und das ist ein Verein, der sich halt für Menschen mit der Pigmentierung CMN einsetzt. Und da erlebe ich es auch immer wieder, dass die Eltern dann sagen, ja, andere Kinder haben überhaupt gar kein Problem. Also wenn sozusagen ihr Kind mit CMN auf dem Spielplatz ein anderes Kind, was kein CMN hat, die spielen und dann: "Was hast du denn da?" "Ja, das ist mein Muttermal, damit bin ich geboren." Fertig, komm lass uns dann Sandburgen bauen. Das war's und diese Bewertung, wie etwas ist, zum Beispiel, ob das Wort behindert, jetzt positiv oder negativ konnotiert ist, das kommt dann halt alles erst viel später und das kommt sozusagen, ich muss es leider sagen, irgendwie auch ganz häufig von den Erwachsenen, die es dann ihren, ja genau, von den Eltern, es dann sozusagen so ihren Kindern beibringen oder vorleben.

Raul Krauthausen: Genau. Von den Eltern Also, genau. Genau. Und Kinder spiegeln natürlich alles, was ihre Eltern oder Erwachsene sie herum machen. Und deswegen ist es, ich, auch so wichtig. Also das passiert mir ja mehrfach am Tag. Ich fahre durch die Stadt und dann höre ich im Hintergrund irgendwie ein Kind fragen, Mama, was hat der? Oder Papa, warum sitzt der im Rollstuhl? Oder guck mal, ein Babymann. Und das sind ja alles irgendwie erst mal so Kindes-, also Kindesperspektiven, die ja auch legitim sind. Also guck mal, ein Babymann...

NANÉE: Beschreibung von … genau.

Raul Krauthausen: ist tatsächlich eine witzige Beschreibung für einen kleinen Menschen mit Bart. Das nehm ich dem Kind nicht übel. Viel faszinierender finde ich dann die Reaktion der Eltern. Und wenn die dann ihr Kind dafür bestrafen, dass es neugierig ist. Oder ihrem Kind irgendwelche Lügengeschichten erzählen. So was wie, der ist halt krank oder der hat Schmerzen. Find ich tatsächlich problematisch, weil lernen Kinder ja nur das Negative.

NANÉE: Ja. Nee. Richtig. Ich auch,

Raul Krauthausen: Es ist aber auch problematisch zu sagen, ich weiß nicht, warum er oder sie im Rollstuhl sitzt, wenn du möchtest, können wir fragen. Weil ich möchte auch nicht die ganze Zeit gefragt werden von random people, dann wäre ich ja den ganzen Tag beschäftigt. Aber ich denke, ein guter Ansatz wäre, jetzt mal als Ratschlag für Eltern: zu sagen, ich weiß nicht, warum er oder sie im Rollstuhl sitzt. Es steht uns auch nicht zu, das zu fragen oder zu wissen.

NANÉE: Ja.

Raul Krauthausen: Du willst ja vielleicht auch nicht immer alles sofort erzählen, wenn man noch nicht mal nach deinem Namen gefragt hat. Und wenn dich das nachher noch interessiert, dann können wir ja im Internet nachschauen, was Gründe sind, warum man im Rollstuhl sitzen kann.

NANÉE: Mhm.

Raul Krauthausen: oder ein Kinderbuch oder was auch immer. Aber die Diagnose, das finde ich auch so interessant. Ich war gestern in einem Podcast, bin in sehr vielen Podcasts im Moment, wo es auch oft ⁓ Betroffenen Perspektiven ging. Gestern war ein Podcast von Eltern behinderter Kinder. Da war die Frage, was können Eltern tun, ihr Kind, das Kind zu stärken? Und ich glaube, es ist tatsächlich wichtig. dass wir Kindern beibringen, dass sie Kinder sind. Und nicht Diagnosen. Weil es bricht mir wirklich das Herz, wenn Dreijährige mir ungefragt ihre Diagnose erzählen. Und auch du hast mir ungefragt deine Diagnose erzählt. Man liest es auch in deinen Newslettern und so. ich finde es auch okay, das zu wissen. Aber du schuldest sie mir nicht.

NANÉE: ⁓ Gott. Mmh.

Raul Krauthausen: Das finde ich wichtig und ich bin dankbar dafür, dass du zum Beispiel in der Anmoderation meine Behinderung gar nicht erwähnt hast. Es reicht zu sehen, dass jemand im Rollstuhl sitzt oder dass deine Haut anders aussieht als die meisten heute, die ich kenne. Aber es steht mir einfach nicht zu, dich zu fragen. Und das zu wissen, ungefragt.

NANÉE: Mhm. Mhm. Das stimmt. stimmt. Und das ist durchaus auch etwas, was ich bei den Eltern aus unserem Verein auch immer sehe. Da dreht sich ganz, ganz viel die Pigmentierung und Ängste, die aus Unwissenheit herrühren und ganz viele medizinische Infos hin und her. Und wie häufig vergessen wir, dass wir noch so viel mehr sind als unsere Behinderung oder unsere Pigmentierung. Wir sind Künstler, wir sind Maler, wir sind Sportler, wir sind keine Ahnung, wir machen gerne Spaß, wir lachen gerne, wir singen gerne, was auch immer. Ja, zum Beispiel.

Raul Krauthausen: Models, ich kenne Models, die das als Alleinstellungsmerkmal einsetzen. was ich auch so wichtig finde, wenn es jetzt nicht medizinisch indiziert ist, also zu sagen, wenn es dein Leben verbessert, weil du dann weniger Schmerzen hast oder was auch immer, verstehe ich, dass man zum Arzt geht. Aber wenn es eigentlich darum geht, der Norm angepasst zu werden, damit die Eltern nicht das Gefühl haben, mein Kind ist anders, damit die Blicke weniger werden und so, was ja erst mal keine Schmerzen bedeutet, oder nicht lebensverkürzend ist oder krank ist, dann, glaube ich, kann man das auch lassen. Und ich habe... Mit meinen Eltern, oft Gespräche über dieses Thema geführt. Erst als ich erwachsen war. Aber ich wurde als Kind sehr oft gefragt, ob ich nicht zur Krankengymnastik gehen will. Und ich hab mich immer schlecht gefühlt, wenn ich Nein gesagt hab. Und hab dann irgendwann aber verstanden, warum... Warum wollen immer alle, dass ich Krankengymnastik mache? Nur weil ich behindert bin oder was? Also, wenn es mir medizinisch danach...

NANÉE: Mhm.

Raul Krauthausen: Besser geht es, vielleicht, aber gerade geht es mir okay. Ich habe jetzt nicht das Gefühl, dass mein Rücken wehtut. wurde mir ein Leben lang unterstellt, mein Rücken würde wehtun. Aber ich habe keine Rückenschmerzen. Keine Ahnung warum, aber ich habe sie halt nicht. Dann gehe ich auch nicht zur Krankengymnastik wenn ich es nicht habe. Mir wurde dann irgendwann klar, dass es eigentlich darum geht, dass meine Eltern, die Erwachsenen mich herum, eigentlich alles tun wollten, ⁓ mich so normal wie möglich zu machen.

NANÉE: Hm. Ja, ja, genau.

Raul Krauthausen: Aber es gibt keine Medizin, keine Operation, keine Krankengymnastik, die mich nicht behindert macht. Das heißt, ich habe mich doch schon längst damit arrangiert und abgefunden. Die Krankengymnastik, die ich machen kann, die wird einfach nichts verändern. Außer vielleicht mich müde machen oder sportlich, stärker. Aber jetzt nicht in einem Maßstab, wo ich keine Aufzüge mehr brauche oder so. Und ich habe tatsächlich...

NANÉE: Mhm. Mmh. Hm.

Raul Krauthausen: vor ein paar Jahren erst mich mit einer paralympischen Sportlerin unterhalten über das Thema und dann sagte sie so völlig in einem Nebensatz, auch behinderte Menschen haben ein Recht darauf, Sportmuffel zu sein.

NANÉE: Sportmuffel zu sein, wie geil ist das denn?

Raul Krauthausen: Und das war für mich wirklich wie so eine Befreiung. Nur weil ich behindert bin, bin ich nicht in der Verantwortung, mehr Sport zu machen als andere. Und wir alle wissen, dass kein Alkohol trinken, nicht rauchen und Sport machen gesünder ist. Aber das heißt ja nicht, dass ich vernünftig bin. Also es gibt ja auch die Freiheit, Alkohol zu trinken, zu rauchen, zu kiffen und ... keinen Sport zu machen und Netflix zu gucken und Chips zu essen. man soll einfach bei sich selbst erst mal anfangen, bevor man andere dazu bringt. ich will jeden, der gerne Sport macht, unterstützen, das zu tun. Aber Sport ist für mich einfach, ich habe da keine Freude und ich habe es auch nie gelernt, Freude zu haben. Das Einzige, was ich gerne mache, ist Schwimmen. Das ist aber mit so viel Aufwand verbunden, dass ich es halt zu selten mache, außer im Urlaub, wenn das Hotel einen Pool hat.

NANÉE: Naja, auch Behinderte haben eine Recht darauf, Sportmuffel zu sein. Den finde ich sehr, geil. Ja!

Raul Krauthausen: Und dieser Perspektivwechsel, der wird viel zu selten gemacht.

NANÉE: Ja, einfach: lass uns doch unser Leben so leben, wie wir es leben möchten Also bevormunde uns nicht. Oder generell, ob du Behinderungen hast oder nicht. Das ist diese generelle, ich will ja nur, dass es dir gut geht. das haben meine Eltern ja auch versucht damals. Haben aber auch eher, wie du gesagt hast, sich selber natürlich, sie hatten ja auch Probleme damit, dass ich dauernd angestarrt wurde und haben natürlich damit auch bisschen sich selbst geschützt.

Raul Krauthausen: Ja.

NANÉE: Und auch das erlebe ich heute noch. Also nicht jetzt von meinen Eltern, sondern von den Eltern aus unserem Verein leider.

Raul Krauthausen: Ja. Ich bekomme oft Ärger, weil ich auch Eltern kritisiere, wenn sie... wenn sie doch das Beste für ihr Kind wollen. Und ich sie dann dafür kritisiere, dass sie Bücher darüber geschrieben haben oder Podcasts machen oder ihre Kinder mit Behinderungen auf Instagram zur Schau stellen. Und ich verstehe, dass sie wirklich das Beste für ihr Kind wollen und so weiter. Aber es ist sehr oft auf den Rücken des Kindes ausgetragen. Das Kind hatte einfach keine Gelegenheit, Nein zu sagen. Auf Instagram zu erscheinen, auf TikTok, in Blogs, in Büchern erwähnt zu werden. Es hatte keine Gelegenheit, Nein zu sagen, wenn die Eltern schrieben, dass das Kind einen künstlichen Darmausgang hat. Und das heißt... Das soll nicht negieren, dass Eltern nicht auch Rat brauchen und Unterstützung brauchen und vielleicht auch Austausch. Aber dann brauchen wir andere Formate, die vielleicht in geschützteren Räumen sind. Und es geht mich, wie gesagt, nichts an, ob dein Kind einen künstlichen Darmausgang hat oder nicht. Wenn das Kind es mir nicht selber erzählt, weil es irgendwie wichtige Information ist für das Gespräch. Aber es geht mich einfach nichts an.

NANÉE: Hmm.

Raul Krauthausen: wenn wir einfach nur ein Eis essen wollen.

NANÉE: Ja, naja, das stimmt. Raúl, du hast dein Zitat, das hast du vorhin schon gesagt: "Auch nichtbehinderte Menschen haben ein Recht darauf, mit behinderten Menschen zusammenzuleben". Und das hat wirklich auch nochmal mein Denken komplett verändert. Magst du mal bisschen erzählen, ungefähr warum oder wie du darauf gekommen bist oder was daran so wertvoll ist?

Raul Krauthausen: Es ist halt dieser Perspektivwechsel. im Moment, wenn wir über Inklusion, Barrierefreiheit, Vielfalt und so reden, dann hat ja die sogenannte Mehrheitsgesellschaft immer eine Minderheit im Blick und denkt dann, was sollen wir denn auch alles tun und wir müssen und so. Die verlangen aber ganz schön viel, die sind ja immer wütend, was auch immer. Und das ist doch so, wenige sollen wir jetzt wirklich alles umstellen und so. Und dabei vergessen wir sehr häufig, dass behinderte Menschen oder überhaupt marginalisierte Gruppen andere Perspektiven auf die Gesellschaft mitbringen. Also wenn wir einen Spielplatz gestalten, dann gestalten wir den in der Regel aus der Perspektive von Kindern und nicht aus der Perspektive von Erwachsenen. Und wenn wir, keine Ahnung, Toiletten gestalten für Frauen, dann sollten wir die auch aus der Perspektive von Frauen gestalten und nicht aus der Perspektive von Männern.

NANÉE: Mhm.

Raul Krauthausen: Und im Zusammenspiel wird dann eine Gesellschaft, die tatsächlich besser wird. Und beim Thema Behinderung finde ich das deswegen so interessant, weil total viele Dinge, die wir im Alltag benutzen, sowohl in der Sprache als auch an Gegenständen, Dienstleistungen, was auch immer, wurden ursprünglich mal für behinderte Menschen entwickelt. Also Aufzüge zum Beispiel oder die Schallplatte sogar. war mal ursprünglich die Idee vom Erfinder der Schallplatte zu sagen, damit könnte man auch Literatur hörbar machen. Für Sehbehinderte Menschen. Und das macht ja total Sinn. Oder das E-Book. Damit könnte man Literatur die Schriftgröße verändern, wenn sie einmal digitalisiert wurde. Ich kann sie vorlesen lassen sogar. Sprachassistenten. Früher waren diese Geräte superteuer für behinderte Menschen. Und die waren super schlecht.

NANÉE: Wahnsinn. Guck mal, ich hatte keine Ahnung. Ich hatte ... Ja! Voll. Mhm.

Raul Krauthausen: Und jetzt hat jeder so eine Siri oder Alexa im Smartphone. Oder Google, oder wie sie auch alle heißen. Oder auf dem Nachtisch stehen. Und diese Technologien haben oft ihren Ursprung in sogenannten Rehabilitationstechniken. Auch die elektrische Zahnbürste wurde nicht erfunden für deine Zähne. Sie wurde erfunden für Menschen mit Körperbehinderungen, die motorisch nicht in der Lage waren. sich selbstständig die Zähne zu putzen. Und erst wenn die Dinge Mainstream werden, werden sie gut. Dann werden sie nutzbar. Und auf einmal haben sie alle eine iPhone-App und hast sie nicht gesehen. Und das hatten sie halt vorher nie. Das heißt, ohne behinderte Menschen hätte es einfach länger gedauert, bis es diese Technologien gegeben hätte. Ich würde sogar sagen, der E-Scooter auf der Straße ist mehr an einem elektrischen Rollstuhl als an einem Tesla.

NANÉE: Mhm. Mhm. Ja.

Raul Krauthausen: Und das Hörgerät. Heute tragen wir alle Airpods. Hörgeräte waren aber der Vorgänger. Und da gibt es noch viele weitere Beispiele. Und in Bezug auf Sprache finde ich es tatsächlich auch total interessant. habe in meinem Buch: "Wer Inklusion will, findet einen Weg, wer sie nicht will, findet Ausreden", einen Aktivisten aus Kanada zitiert, Al Etmanski.

NANÉE: Mhm. Mhm, das stimmt.

Raul Krauthausen: der selber ein Buch geschrieben hat, heißt "The Power of Disability". Und der stellt die Frage, warum wir Behinderungen immer als etwas Defizitäres sehen. Dass es sein kann, aber nicht immer ist. Es gibt nämlich auch Stärken. Also Kräfte. Und eine Stärke ist zum Beispiel die Kraft der Kreativität. Also wenn Menschen jeden Tag auf Barrieren stoßen, dann müssen sie ja auch jeden Tag Lösungen finden.

NANÉE: Mhm. Mhm. Mhm. Das stimmt.

Raul Krauthausen: Und das trainiert. Jeder Mensch würde das lernen mit der Zeit. Man entwickelt auch Strategien, entwickelt Resilienzen. Es haut einem nicht mehr so schnell etwas vom Hocker, wenn etwas schief läuft. Wenn ich mich verabrede, dann kalkuliere ich meistens ein, dass es sein könnte, dass der Aufzug kaputt ist und ich den Umweg fahren muss. Das heißt, ich bin fast immer zu früh. Weil meistens ist der Aufzug nicht kaputt.

NANÉE: Ja. Das stimmt. Mhm.

Raul Krauthausen: Ich habe diese Zeit aber schon eingeplant. Das heißt, ich bin immer pünktlich. Das ist eine Stärke. Hat jetzt auch nicht jeder vielleicht, aber das ist eine Stärke, wahrscheinlich behinderte Menschen eher haben. Und was mich am meisten beeindruckt hat beim Lesen des Buches war die Kraft der Authentizität. Also es gibt Menschen mit chronischen Erkrankungen oder unsichtbaren Behinderungen,

NANÉE: Wow!

Raul Krauthausen: Vielleicht wirst du das auch gemacht haben. Die ihre Behinderungen verstecken. Also bei dir würde ich jetzt sagen, keine Ahnung. Rollkragen-Pullis trugen. Genau. So, dass man bloß nicht sieht, dass man irgendwie anders aussieht und so. Und das ging ja immer auf deine Kosten. Du hast es versteckt, es hat dich beschämt. Es war aber für dich

NANÉE: Mhm. Ja. Die ersten 30 Jahre. Ganz genau. Bis oben hin voll. Genau.

Raul Krauthausen: vielleicht erst mal der leichtere Weg, damit umzugehen, als ständig allen erklären zu müssen. Und... Genau.

NANÉE: Na gut, ich hab's nicht anders gelernt, muss man dazu sagen. Also meine Eltern haben's quasi angefangen und ich hab's nie in Frage gestellt. Ich bin so aufgewachsen.

Raul Krauthausen: Genau, genau. Du hast dann aber irgendwann gemerkt, das willst du nicht, das kannst du nicht, das raubt dir zu viel Kraft. Und dann hast du dich umentschieden. Und es gibt Menschen mit sichtbaren Behinderungen, die hatten diese Wahl nie. Das heißt, ich kann mich auf den Kopf stellen. Und dann bin ich halt ein Rollstuhlfahrer auf dem Kopf. Aber wenn ich den Raum betrete, ist der Rollstuhl vor mir da. Quasi.

NANÉE: Mmh. Mmh.

Raul Krauthausen: Und die Strategien, die man dann entwickelt, und das wirst du vielleicht jetzt auch gemacht haben, ist, dass man versucht, so würdevoll es geht, mit der Behinderung umzugehen. Und das ist das, was andere bewundern. Wenn sie sagen: "Ich an deiner Stelle könnte das nicht." oder "Ich bewundere, wie du das alles schaffst." Früher habe ich immer gehört, dass die Leute meinen,

NANÉE: Mmh. Hm. Hm.

Raul Krauthausen: Oder gedacht, dass die Leute meinen, ich an deiner Stelle hätte mich umgebracht.

NANÉE: Gott.

Raul Krauthausen: Das kann man auch interpretieren, wenn man den Satz hört: "Ich an deiner Stelle könnte das nicht." Dann ist mir aber irgendwann klar geworden, dass wir alle irgendeine Erfahrung im Leben gemacht haben, irgendwas Traumatisches erlebt haben, irgendein Geheimnis mit uns tragen, von dem wir noch niemanden davon erzählt haben.

NANÉE: Hm.

Raul Krauthausen: Oder nur ganz wenigen, oder engen Freunden, oder nur die Familie weiß es, oder nur der Partner, Partnerin. Weil es uns beschämt. Und wenn Leute diesen Satz sagen: "Ich bewundere, wie du das alles schaffst!", dann wünschen sie diese Kraft eigentlich für sich selbst, ihre eigene Unzulänglichkeit. Und... Weil, wie gesagt, wir... Also, ich kann mich auf den Kopf stellen.

NANÉE: Mhm.

Raul Krauthausen: Und ich bin trotzdem behindert. Und das, was man sieht, ist einfach die Entscheidung, die ich bewusst oder unbewusst irgendwann in meinem Leben getroffen habe, mich damit zu zeigen. Ich stelle meine Behinderung nicht zur Schau, sondern ich versuche, so würdevoll ich kann, und das kann auch eine Situation sein, damit umzugehen. Es kann auch sein, dass ich heute einen schlechten Tag habe und dann einfach damit nicht so gut umgehen kann. Und das ist nicht so...

NANÉE: Mhm. Mhm. Das stimmt. Naja, genau.

Raul Krauthausen: Ich würde nie sagen, dass ich geläutert, aufgeklärt oder empowered Das ist auch tagesformabhängig. Und ich lerne jeden Tag dazu. Und das ist vielleicht auch was Schönes. Das auch mit der Unsicherheit ... der anderen Leben zu lernen. Und zu gucken, warum tut mir das gerade weh. Oder warum fühle mich unwohl. Und das dann entweder zu thematisieren ... oder einen eigenen Umgang damit zu finden. Vielleicht als Beispiel, wo wir uns vielleicht ähneln. Ich hatte meine ganze Jugend über, ganze Kindheit, junges Erwachsenen-Leben über, keinen Spiegel in der Wohnung.

NANÉE: Krass!

Raul Krauthausen: Meine erste Freundin hat irgendwann die Frage gestellt: "In deiner Wohnung hängt ja gar kein Spiegel?!". Ich hab das nie reflektiert, ich hab's aber auch nie gewollt. Dann hat sie gegen meinen Willen einen Spiegel in der Wohnung aufgestellt. Selbst nachdem wir uns getrennt haben, hängt dieser Spiegel da noch. Ich fand es die ersten Monate schrecklich, mich im Spiegel zu sehen.

NANÉE: Mhm. Mhm.

Raul Krauthausen: Es war ein ungewohnter Blick. Wenn ich mich sehe, wenn ich bis zu dem Zeitpunkt sah, dann immer nur in Schaufenstern oder im Spiegel vom Supermarkt oder was auch immer. Oder manchmal vor der Kamera oder auf dem Bildschirm. Aber ich habe das selten als mich selber gesehen. Ich habe halt jemanden mit Behinderungen gesehen, aber ich habe mich realisiert, dass ich das bin.

NANÉE: Hm. Mhm.

Raul Krauthausen: Als dann aber dieser Spiegel im Bad hing, wurde mir erst klar, das bin ja ich. Und ich kann das beeinflussen. Es macht einen Unterschied, ob ich Schuhe trage oder nicht. Auch wenn ich keine Schuhe brauche. Es macht einen Unterschied, ob ich eine Mütze trage oder nicht. Weil niemand wird sagen, das ist der mit der Mütze. Alle werden trotzdem sagen, das ist der mit dem Rollstuhl. Und ...

NANÉE: Mhm. Hm. Mhm.

Raul Krauthausen: Mir gefiel aber plötzlich Mütze tragen. Mir gefiel plötzlich Schuhe tragen. Mir gefiel plötzlich Hemden tragen. Sodass es so einen Raúl-Look gibt. Mütze, Hemden, Schuhe. Und das war ein Prozess. Und dann gibt es Leute, sagen, das Gegenteil von Body Shaming ist Body Positivity.

NANÉE: Mhm. Mhm. Mhm. Hm. Naja, genau, das geht nicht von heut auf morgen.

Raul Krauthausen: Wir müssen unseren Körper lieben und lieben lernen und so weiter. Und ich würde sagen, an dem Punkt bin ich noch nicht. Also, meinen Körper jetzt geil zu finden, da würde ich mir, glaube ich, was vormachen. Aber ich bin immer an einem Punkt angekommen, wo ich sagen würde, ich finde meinen Körper okay. Und ich bin dankbar, dass er mich durchs Leben trägt, dass er mir relativ wenig Sorgen bereitet, wenig Schmerzen macht.

NANÉE: Mhm. Genau.

Raul Krauthausen: Wenn ich auf ihn aufpasse, zum Glück muss ich nicht zu sehr aufpassen. Und Medikamente brauche ich auch nicht so viele, gar keine. Ich brauche halt Hilfsmittel. Hörgerät, Brille, Rollstuhl, was auch immer. Und Assistenz. Und wenn ich das aber habe, dann bin ich zufrieden. Auch nackt vorm Spiegel. Und ... Aber ich muss mich nicht gefallen

NANÉE: Mhm. Jetzt ist ja das ganze Thema Body Neutrality, also Body Neutralität. Also, Positivity, ja, ne, finde deinen Körper schön, liebe dich so, wie du bist, das sag ich ja auch. Aber nimm dich erst mal so an, wie du bist. Also, du musst es ja nicht unbedingt lieben, aber nimm's so an und wertschätze es. Natürlich. Genau. Da sind wir wieder.

Raul Krauthausen: Ja, genau! Es kann halt auch Druck erzeugen, wenn man sagt, du musst dich lieben. Ne, muss ich nicht. Ich muss auch keinen Sport machen.

NANÉE: Was würdest du anderen Menschen mit Behinderung raten, die noch nicht da sind, wo du jetzt schon bist und immer noch kämpfen, zu sich zu stehen?

Raul Krauthausen: Du schuldest niemanden deine Diagnose. Es ist ein gutes Recht, das nicht zu erzählen. Ich empfehle das nicht in der Vorstellung, in der Begrüßung ungefragt zu erwähnen. Man kann andere Eigenschaften hervorheben, so was wie, hallo, ich bin Max, ich komme aus München. Das ist was anderes als zu sagen, hallo, ich bin Max und ich habe Spina bifida. Das, glaube kann man einfach auch mal üben, so für sich selbst wie für...

NANÉE: Mhm.

Raul Krauthausen: Fühle ich mich dabei, wenn ich das mache. Und den anderen Gedanken, den ich, glaube ich, viel früher gerne gelernt hätte, sind so Floskeln, wir selber auch gebrauchen. Also es gibt zum Beispiel diese Floskel, wir müssen die Barrieren in den Köpfen senken. Wir müssen Vorurteile abbauen, müssen Ängste beseitigen. Und damit legitimieren wir Vorurteile, Ängste.

NANÉE: Mhm. Mh. Mmh... mhm...

Raul Krauthausen: Und ich glaube, dass niemand, der nicht behindert ist, Recht hat, aufgeklärt zu werden über Behinderung. Niemand ohne Behinderung hat das Recht, dass andere ihm die Ängste beseitigen.

NANÉE: Mhm.

Raul Krauthausen: Sondern das, was am effizientesten funktioniert im Sinne der Aufklärung, also Ängste abzubauen, Berührungsängste abzubauen, Barrieren im Kopf abzubauen, ist immer erst die Begegnung. Es ist nicht die Aufklärung. Ja, die Offenheit muss natürlich gegeben sein. Aber es ist auch das gute Recht von nichtbehinderten Menschen zu sagen: "Ey, Raúl mag ich nicht.

NANÉE: und die Offenheit.

Raul Krauthausen: Ich habe auch als behinderter Mensch das Recht, auf Leute zu treffen, die mich nicht mögen. Das ist das Leben. Das Leben ist kein Wunschkonzert. Das Leben ist gefährlich. Wir haben aber sehr große Möglichkeiten, anderer Leute Einstellungen zu ändern. Und die auch gerne ihre Einstellung geändert bekommen, wenn wir einander begegnen.

NANÉE: Mhm.

Raul Krauthausen: Wenn wir das immer in diesem theoretischen belassen und quasi erst aufklären wollen, bevor wir überhaupt einen Aufzug bauen, dann funktioniert das nicht. Es wird niemals Jürgen Dusel, der Bundesbehindertenbeauftragte Deutschlands, auf den Balkon schreiten und sagen, jetzt haben wir genug aufgeklärt, lasst uns jetzt Barrieren abbauen. Das wird einfach nicht passieren. Das heißt, dieser Satz: "Wir müssen die Barrieren in den Köpfen senken!", ist konsequenzlos. Alle nicken, alle klatschen. Der Satz ist ja im Grunde nicht falsch. Aber er beantwortet nicht die Frage, was soll ich als nächstes tun.

NANÉE: Mhm. ist quasi wie so ein Lippenbekenntnis. ich sag so, das... Genau. Wir sollten das und das tun. Aber warum leben wir? Genau. Dann nicht lang schnacken. So einfach machen. Ist ja so ein Hamburger Spruch.

Raul Krauthausen: Genau, das ist zumindest ungezogener. Ja, dann macht halt. Genau. Genau. Und deswegen ist es halt so wichtig, dass wir erst darüber nachdenken, wo scheitern eigentlich Begegnungen? Also warum gibt es so wenig behinderte Kinder auf Spielplätzen oder in Kindergärten, in Schulen? Und dann gibt es Pädagoginnen, sagen, für behinderte Kinder sind wir hier nicht ausgebildet. Und die einzige Antwort, die es darauf geben sollte, ist die Antwort, Eltern behinderter Kinder hatten vorher auch keine Ausbildung. Es ist anmaßend. Es ist wirklich anmaßend und dreist, erst eine Ausbildung zu verlangen. Wenn in deiner Kita ein Kind mit Behinderung ist, dann sollst du alle Möglichkeiten bekommen, dich vorzubilden in dem Moment. Aber darauf zu warten, vorher alles gelernt zu haben, bevor du überhaupt...

NANÉE: das stimmt.

Raul Krauthausen: mit dem behinderten Kind interagierst, ist anmaßend. Du kannst auch kein Farsi, und hast trotzdem persische Kinder in deiner Klasse. Also, das ist wirklich problematisch.

NANÉE: ist. Und vor allen Dingen lädt es da wieder auch noch mal ein zu diesem Perspektivwechsel. Und welche Ängste haben wir? Warum? Warum habe ich diese Ängste, da in diesen Kontakt, in diesen Austausch zu treten? Warum will ich das vielleicht nicht? Und dann zu sagen, eigentlich diese inklusive Welt, dass wir alle miteinander leben, in meinen Augen macht es die Welt einfach bunter und vielfältiger und lebens- und liebenswerter, wenn wir alle ein Teil dieser Gesellschaft sind.

Raul Krauthausen: Ja. Das geht für mich in diese Kategorie magisches Denken. Deswegen bin ich ein bisschen kritisch, was das angeht, oder skeptisch. Eine bunte Welt muss nicht besser sein. Ich möchte nicht, dass behinderte Menschen nur dann eingeladen sind, wenn danach alle profitieren.

NANÉE: Okay.

Raul Krauthausen: Ich möchte, dass behinderte Menschen auch eingeladen sind, wenn es gerade keinen Gewinn macht. Oder auch wenn sie anstrengend sind. Weil ehrlich gesagt, die meisten Menschen, die ich anstrengend finde, haben keine Behinderung. Und die dürfen ja auch Bus fahren. Oder die treffe ich auch in der Kita. Und letztendlich immer nur die Behinderten dann willkommen zu heißen, oder die mit Migrationshintergrund, oder die queeren.

NANÉE: Das stimmt. Jaja, auf jeden Fall. Ja, das stimmt. Gott, ja.

Raul Krauthausen: Wenn wir alle davon lernen, ehrlich gesagt, nee. Behinderte Menschen, ich weiß.

NANÉE: Nee, aber das meinte ich auch gar nicht. Ich meinte einfach nur so, generell, ganz egal wie du bist, so.

Raul Krauthausen: Wir haben genauso das Recht, nur 90 Prozent zu leisten. So wie die meisten Menschen wahrscheinlich nicht 100 Prozent permanent geben. Haben wir genauso das Recht darauf. Und wir müssen nicht überperformen. Wir sind nicht verantwortlich für die Kreativität in einer Klasse, in einem Unternehmen, für die Vielfalt und so. Und wir sind auch nicht verantwortlich, andere Menschen die Ängste zu nehmen. Das können wir nur jeder für sich selbst. Ich habe auch Angst vor Dingen.

NANÉE: Genau.

Raul Krauthausen: Das bringt nichts, YouTube-Video dazu zu sehen, wenn ich Angst vor Spinnen habe. Wahrscheinlich, ehrlich gesagt, und so hart es klingt, Konfrontation ist das Einzige, was meine Angst vor Spinnen beseitigen würde. Oder Flugangst. Wahrscheinlich ist mal geflogen zu sein.

NANÉE: Hmm.

Raul Krauthausen: therapeutischer, als ein YouTube-Video dazu zu gucken.

NANÉE: Auch diese, also das ist ja so ein bisschen auch quasi die Story of my life. Als ich diese ganzen Ängste hatte, sozusagen mich versteckt habe hinter meinem Rollkragen und dann irgendwann, ich hatte ja einen so einen Moment damals in San Francisco, als ich da mein Hauptpraktikum gemacht hab, da hab ich tolle Menschen kennengelernt, die haben mich dann mal zu so einer Poolparty oder so einer Gartenparty eingeladen. Da war ein Whirlpool und da haben sie gesagt, hey, na nee, komm doch mit rein und so. Ich hab mich Da noch gar nicht. Ich einen Badeanzug mit, aber auch mein Badeanzug hatte einen Rollkragen. Und ich hab mich noch nie denen so irgendwie gezeigt, mit den ganzen Leberflecken an den Beinen und so. Und ich hatte tierische Angst vor deren Reaktion. Und dann hab ich gedacht, aber hey, ganz ehrlich, wann hast du noch mal die Chance jetzt hier irgendwie in San Francisco, mach es jetzt. Das war sozusagen mein Mutausbruch, den ich dann hatte. dann in diesen Whirlpool rein und was soll ich dir sagen? Die Leute haben geguckt. Aber nicht wegen der Leberflecke, sondern wegen ... Also der Spruch war: "Why are you wearing a turtleneck in the hot tub?" Warum trägst du einen Rollkragen im Whirlpool? So. Und das war der Moment, wo ich dann gemerkt hat, dass es mein Denken ist. Dass es meine Ängste sind. Und das geht ja sowohl für behinderte als auch nicht behinderte Menschen, für Menschen, die eine Besonderheit haben oder was auch immer. Also eine äußerlich erkennbare

Raul Krauthausen: Ja. Nein.

NANÉE: äußerlich erkennbar anders sind oder halt nicht. Alles, was wir denken, quasi den Ursprung, die Ängste, die Ablehnung hat den Ursprung in uns. Und ich würde dann auch immer noch mal die Leute, die vielleicht irgendwie Angst haben vor irgendwas, also zum Beispiel auch vor dem Kontakt mit Behinderten oder vor dem Kontakt, warum möchte ich nicht irgendwie, was auch immer. Zu gucken, warum? ist das so? Also wovor haben sie eigentlich selber Angst? Und wenn man da, also wenn man dann so offen wäre da rein zu gucken, merkt man, dass das vielleicht auch irgendwelche Sachen sind, die ich von jemandem anders gelernt und übernommen habe.

Raul Krauthausen: Ja, und ich glaube, tatsächlich auch hilfreich ist... Wenn ich diese Angst erkenne... Sie nicht gleich zum Thema zu machen. Und sie erst mal für sich zu behalten. Weil ganz oft passiert es auch, dass mir dann Leute sagen, ich habe ja noch nie jemanden mit Glasknocken getroffen. Das ist für mich jetzt schon ungewohnt. Darf ich dir jetzt die Hand geben? Ja oder nein? Und dann fühlen sich die Leute danach nicht besser, wenn ich sage, ja, du darfst mir die Hand geben. Sondern dann sind die teilweise auch beschämt, weil sie

NANÉE: Mhm. Mhm. Mmh. gezögert haben.

Raul Krauthausen: Oder auch, weil sie ihre Angst sogar äußert haben. Ich glaube, irgendwann kann ich das für mich sagen, einfach diese Angst spüren. Beobachten, wie machen das andere. Und dann einfach nachmachen. Aber du musst jetzt nicht, das ist auch auch für mich ehrlich gesagt, du musst jetzt nicht mir die ganze Zeit deine Angst erzählen.

NANÉE: Interessant.

Raul Krauthausen: Ich bin nicht dein Therapeut. Ehrlich gesagt, ich habe Freunde, die mir dann Jahre später erzählt haben, wovor sie Angst hatten, als sie mich trafen. Das ist was anderes.

NANÉE: Genau, Hm, naja, genau.

Raul Krauthausen: Aber als Kennenlernfrage ist es nie gut, sich aufklären zu lassen, wie man mit behinderten Menschen umgeht oder was für eine Diagnose jemand hat. Das ist keine gute Kennenlernfrage. Aber es ist eine okaye Frage, wenn man sie irgendwann fragt. Das ist eher eine Frage des Timings.

NANÉE: Ne, genau. Hm. Naja, genau. Lieber Raúl, Zeit neigt sich leider schon dem Ende zu. Ich merke, wir hätten noch, also wir fallen noch sehr viele Themen ein, die man hätte noch besprechen können. Bevor ich aber zu meiner Rubrik "Kurz und knackig" komme: Wo können die ZuhörerInnen mehr über dich erfahren oder mit dir in Kontakt reden oder zum Beispiel deine Bücher, weil du hast ja auch zwei Bücher geschrieben, das oder sogar jetzt, ich weiß gar nicht, wie viele es sind, aber also ist

Raul Krauthausen: Ja, Vier Vier Dank.

NANÉE: Kinderbuch, vier sogar schon, siehst du. Wo können Menschen sozusagen etwas über dich und deine Bücher mehr über dich erfahren?

Raul Krauthausen: Also auf meiner Website raul.de. Aber auch auf Instagram, LinkedIn und so weiter. Und ich habe einen wöchentlichen Newsletter "Send from my wheelchair" heißt der. Kann man auch über meine Website erreichen. Und in meinem Podcast "Im Aufzug", der alle zwei Wochen erscheint, wo ich mit KünstlerInnen, Aktivistinnen, Menschen, die ich spannend finde, ein bis zwei Stunden plauder. Und das sind so meine Arbeiten. Ich arbeite aber auch in einer Organisation den Sozialhelden. Ein Verein, sich für die Rechte behindert, der Menschen einsetzt. Und den findet man unter sozialhelden.de

NANÉE: Und all diese Links werdet ihr natürlich in den Shownotes und auf der Landingpage überall finden. damit, lieber Raúl, kommen wir jetzt zu meiner Kategorie "Kurz und knackig". Ich lese Satzanfänge vor und du vollendest sie, okay? Der dümmste, blödeste Spruch, der mir im Leben begegnet ist, ist...

Raul Krauthausen: Okay. Beim Kennenlernen auf einer Veranstaltung: "Kannst du Sex haben?"

NANÉE: mein Gott, das ist ja auch nochmal am besten noch nicht mal die Namen. Wow, das ist wirklich krass.

Raul Krauthausen: Ja, ich habe dann geantwortet, ja, aber nicht mit Ihnen.

NANÉE: Hahaha! Sehr geile Antwort. Und auch nicht jetzt gerade. Auf ner Veranstaltung Also ganz ehrlich. Also wie übergriffig das ist. Das ist unfassbar.

Raul Krauthausen: Ja. Ja. Aber ich verstehe, wo das herkommt. Aber es ist einfach total unangebracht. Also, würde ich einfach niemanden, sollte diese Frage beantworten müssen, bevor er seinen Namen nennt

NANÉE: Der voll. Von anderen Menschen wünsche ich mir.

Raul Krauthausen: dass sie Betroffenen glauben.

NANÉE: Ja, super. Und der letzte Satz. Ich bin stolz.

Raul Krauthausen: Da ist es wirklich eine schwierige Kategorie, sagen, worauf man stolz ist. Ich bin stolz vielleicht auf Dinge, die ich selber gemacht habe, selber erreicht habe. Das sind so kleine Momente, wie du das vorhin beschrieben hast, dem zum ersten Mal im Badeanzug, also zum ersten Mal sich zeigen. Da gab es auch in meinem Leben mehrere Momente, an die ich mich erinnern kann. ob ich stolz bin, mal der Raúl zu sein, der ich schon immer sein wollte. Und nicht der Raúl, der geschauspielert hat, um anderen zu gefallen oder anderen keinen Aufwand zu machen. Und da gab es zum Beispiel, fällt mir spontan an, als ich ein neues Studium begonnen habe. Ich hatte früher immer Assistenten dabei zur Uni. Und ich wollte aber unbedingt für dieses neue Studium am ersten Tag Ich wollte nicht jemanden dabei haben müssen. Ich wollte gucken, was schaffst du hier allein? Dann stand ich vor einer verschlossenen Tür. Ich wusste nicht, wie ich reinkomme. Es ist mir schwergefallen, fremde Menschen um Hilfe zu bitten, mir diese Tür aufzumachen. Dann habe ich es aber gemacht. Das war für die Person wahrscheinlich überhaupt kein Thema. Sie würde sich wahrscheinlich auch nicht daran erinnern. Aber für mich hat sie wirklich eine Welt aufgemacht. wirklich auch physisch eine Welt aufgemacht. Und zwar die Welt in einem Studium des Design-Thinkings, wo ich bei einem Durchschreiten dieser Tür wirklich ganz bewusst die Entscheidung getroffen habe, ab jetzt verstellst du dich nicht mehr. Die Kommilitoninnen kannten mich alle nicht. Für die war das keine Überraschung. Die haben einen anderen Raúl kennengelernt. Und zwar wahrscheinlich den authentischen. Darauf bin ich echt stolz. Ich wünsche jedem, diese Erfahrung gemacht zu haben. Wenn man mich fragt, wie alt warst du da? Lass mich kurz nachdenken. 27.

NANÉE: Und das sagt mir auch wieder, ich meine, ich war ja auch erst irgendwie 30, als ich meinen Rollkragen weggelassen habe, das erste Mal. Es ist nie zu spät, den ersten Schritt oder sagt man im Rollstuhl den ersten Schub in sein neues Leben zu machen. Und das alles, was wir dafür brauchen, ist halt sozusagen dieser eine Moment Mut, dieser eine Moment, wo unser Wollen stärker ist als unsere Angst.

Raul Krauthausen: Ja. Wir haben alle unsere eigenen Geschwindigkeiten. Weil ich mit 27 erst oder schon das gemacht habe, sollte nicht bedeuten, dass andere das jetzt auch in der Zeit geschafft haben sollten. Jeder hat sein eigenes Tempo und hat auch andere Bedingungen, unter denen er oder sie startet oder ist. Es ist wirklich wichtig, im Austausch zu sein mit anderen Betroffenen und sich auch Dinge abzugucken.

NANÉE: Mhm.

Raul Krauthausen: ganz viel von Menschen mit Muskelschwund gelernt. Viel mehr als ich von Menschen mit meiner Diagnose gelernt habe. Und es gibt viel mehr Verbindendes in der Community der behinderten Menschen, als wir glauben. Man muss nicht die gleiche Diagnose haben, ⁓ das nachvollziehen zu können.

NANÉE: Hm. Mmh. Ja, super. Wow, Raúl, was für ein Gespräch. Du hast so viele Denkweisen auf den Kopf gestellt, von der Sprache, die wir verwenden, bis hin zu der Frage, wer eigentlich von Inklusion profitiert. Und ich nehme aus diesem Gespräch mit, Inklusion ist kein Charity-Projekt, sondern macht unser aller Leben einfach reicher. Und dass wir alle, ob mit oder ohne Behinderung, das Recht darauf haben, zu sein, wer wir sind, uns nicht erklären müssen. und das Recht haben, in einer Gesellschaft zu leben, die jeden Menschen als selbstverständlichen Teil sieht. Und wenn ihr mehr von Raúl hören wollt, schaut unbedingt bei seinen Büchern vorbei, auf seiner Webseite, bei den Sozialhelden. An euch da draußen, ihr Lieben, bin wahnsinnig gespannt, welcher Moment in diesem Gespräch hat euch am meisten zum Nachdenken gebracht? Schreibt es mir sehr gerne in die Kommentare oder auf Instagram. Dann natürlich abonniert meinen Podcast "HAUT COUTURE - ICH BIN ICH und das ist gut so", damit du keine weitere Folge mehr verpasst. In der nächsten Folge sprechen wir mit Celina Bischoff. Und ich kann euch sagen, es wird musikalisch und wieder sehr inspirierend. Und bis dahin noch mal ganz lieben Dank, lieber Raúl.

Raul Krauthausen: Sehr gern!

NANÉE: Und an dich da draußen, bleibt authentisch, bleibt mutig und denkt daran, du bist genauso richtig, wie du bist. Ciao.

Raul Krauthausen: Tschüß

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